Filicudi: Monte Fossa und Capo Graziano
05.05.2002
Was tun?
Die Nacht über hatte es furchtbar gewittert und der erste Blick aus dem Fenster offenbarte düstere Regenwolken, die den Monte Guardia fast vollständig verhüllten. Der Wind hatte ein wenig nachgelassen.
Während des Frühstücks diskutieren wir unsere Optionen. Dass es draussen abwechselnd regnet oder die Sonne fast heraus kommt macht die Entscheidung nicht leichter. Wir überlegen zwar ein wenig hin und her, aber eigentlich sind wir uns einig, dass es besser ist, irgendwo im Regen herum zu laufen, als in Lipari im Zimmer zu sitzen und beschliessen, nach Filicudi zu fahren. Unterstützt wird der Entschluss von einem freundlichen Sonnenstrahl, der den Monte Guardia gegenüber beleuchtet.
Als wir aus dem Haus treten werden wir von einem fürchterlichen Regenguss begrüsst und müssen Schutzkleidung anlegen, um einigermassen trocken am Hafen anzukommen. Schon beim Ticket kaufen hört der Regen wieder auf und wir können trocken in die Fähre einsteigen. Komisch, heute sind viel weniger Leute unterwegs. Die trauen dem Wetter wohl nicht.
Losgehen!
Das Wetter jedoch rechtfertigt unser Vertrauen, denn als wir in Filicudi Porto anlegen, haben sich die Wolken zu grössten Teil verzogen und wir steigen in schönstem Sonnenschein aus dem Aliscafi aus. Nach einem kurzen Orientierungslauf am Hafen, steigen wir den steilen Treppenweg nach ??? hinauf. Der Ralle rüstet sofort auf kurze Hosen um, aber ich traue mich das noch nicht so recht. Der Satz im Führer, wo von diesem 'verwachsenen Pfad' zum Gipfel geschrieben wird, ist mir noch deutlich in Erinnerung. Ich will die aktuellen Kratzer noch ein bisserl abheilen lassen.
Die Insel scheint ausgestorben. Trotzdem finden wir einen kleinen Laden, wo wir zwar keine Panini bekommen, aber dafür eine Tüte mit Keksen kaufen. Das ist mal eine Abwechslung zum ewigen Brot.
Wir folgen den Beschreibungen des Führers wortwörtlich und finden ohne Probleme den Einstieg zum Pfad auf den Monte Fossa. Zuerst ist der Weg gut zu gehen, denn die Macchia ist nach einem Brand noch nicht vollständig nachgewachsen. Dann aber verschwindet der Pfad wie angedroht in dichter Macchia und wir wühlen uns relativ deutlichen Spuren folgend bis zum Gipfelgrat. Dort treffen wir auf eine breite entholzte Trasse, die von rechts direkt zum Gipfel führt.
Interessiert betrachte ich die Richtung aus der die Trasse kommt und vergleiche die Gegend mit der Karte in meinem Kopf. Da tun sich ja ganz neue Möglichkeiten auf, denke ich mir.
Oben
Der Weg zum Gipfel ist auf der breiten Trasse völlig problemlos zu gehen und wir sind schnell oben. Wir gehen noch ein Stück über den höchsten Punkt hinaus zu einem felsigen Vorsprung und haben einen wunderschönen Blick aus Meer hinab und zu Alicudi hinüber.
Der kalte Wind treibt uns zurück zum Gipfel, wo wir im Windschatten der Macchia Kekse essen und Ameisen mit Krümeln füttern. Die können ihr Glück kaum fassen und rennen aufgeregt mit viel zu riesigen Keksteilen herum. Die meisten Krümel finden ihren Weg sehr schnell in den Bau.
Ich erläutere dem Ralle meinen Plan, der Trasse zu folgen um dann (hoffentlich) auf einem kleineren Gipfel zu landen, zu dem ich schon einen Weg gesehen habe. Alles Spekulation und wenn ich unrecht habe, müssen wir wieder rauf und dem Aufstiegsweg nach unten folgen. Weder in der Karte noch im Führer ist irgendwas beschrieben.
Der Ralle meint auch, dass die schöne breite Trasse das Risiko wert ist und so folgen wir dem breiten Weg nach unten. Ich ziehe ebenfalls die kurze Hose an, denn nun kann meinen zerschundenen Beinen ja nichts mehr passieren denke ich. Falsch gedacht! Als wir schon fast auf der Strasse ins Dorf sind, trete ich unaufmerksam auf einen Stein, der sich umgehend unter meinem Fuss herausrollt, und lande höchst unsanft mit der rechten Seite und der linken Hand im dornigen Unterholz. Aua!
Ich muss Dornen aus meinem rechten Bein und unter dem Fingernagel herauspulen und die vielen kleine Kratzer brennen wie Teufel auf meinen schweissnassen Beinen. Das kommt davon, wenn man in der Gegend herum guckt.
Kultur
Langsam steigen wir zum Hafen ab. Ich hoffe ja insgeheim auf einen Capuccino und das Ende des heutigen Tages, doch der Ralle erinnert mich, dass wir doch die bronzezeitliche Siedlung am Capo Graziano anschauen wollten. Ja, schon, aber ... Da aber am Hafen absolut nichts offen ist, habe ich schlechte Argumente.
Die Ausgrabungsstätte der bronzezeitlichen Siedlung besteht natürlich vor allem aus Grundmauern. Nachdem wir uns umgeschaut haben, will der Ralle unbedingt noch auf die Spitze des Capo Graziano steigen. Ich hätte eigentlich genug für heute, aber wenn er geht, gehe ich mit. Auf ihn warten, wie er vorschlägt, kommt nicht in Frage. das kriege ich ja sonst noch ewig zu hören.
Das Vorhaben, Capo Graziano zu erklimmen, erweist sich als sehr schlechte Idee. Der Pfad fängt schon nach dem nächsten Absatz an, sich zu verlaufen und die Macchia hier ist furchtbar dicht. Ich kriege ziemlich schlechte Laune, als immer neue Äste und Dornen die Tiefe meiner schon vorhandenen Schrammen erkunden wollen, aber um dem Ralle die Entdeckerfreude nicht zu nehmen, sage ich nichts. Trotzdem merkt er natürlich, dass ich keine Lust mehr habe und besteht nach der ersten Sackgasse in der Macchia nicht mehr unbedingt darauf, einen Weg zum Gipfel zu suchen.
Zurück am Hafen haben wir noch ein wenig Zeit, die wir mit einem kühlen Bier auf der Hafenmauer herum bringen. Der Wind, der uns nach der Hitze am Capo Graziano zunächst als Wohltat erscheint, wird eisig kalt, weil wir uns nicht mehr bewegen. Schön langsam krame ich ein warmes Kleidungsstück nach dem anderen heraus. Trotzdem friere ich, als der Aliscafi anlegt.
Kreislaufkollaps
In der Fähre verschlafe ich den grössten Teil der Fahrt, was dazu führt, dass mein Kreislauf komplett im Keller landet. Zuhause in Lipari werde ich absolut nicht mehr warm. Noch dazu geht das warme Wasser nicht. Nach einer Katzenwäsche mit nahezu eiskaltem Wasser, verschwinde ich im Bett und versuche warm zu werden.
Vergebens. Frierend, mit 2 Faserpelzen und Jacke bewaffnet, tauche ich im zweiten Touri-Restaurant auf - sehr zur Freude des kleinen Obers, der mir zu erklären versucht, dass es doch gar nicht kalt sei. Ich nicke verstehend und vergrabe dennoch meine Hände im jeweils gegenüber liegenden Ärmel. Die nabelfrei herum laufenden Mädchen ignoriere ich geflissentlich. Kann mir doch keiner weis machen, dass Lipari nict kurzfristig an den Nordpol verlagert wurde!
Nachdem ich mit Appetit eine Pizza verdrückt habe, bekommt mein Kreislauf wieder Aufschwung und ich traue mich sogar hin und wieder die Hände aus den Ärmeln zu nehmen - vor allem, um Wein zu trinken. Der kleine Ober nickt mir aufmunternd zu und preist vermutlich wortreich das milde Klima der Inseln. Als wir wieder daheim sind vergrabe ich mich sofort wieder im Bett und schlafe augenblicklich ein.
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