Entlang der Wasserscheide28.05.2001SonnenaufgangIch hatte die Zeit, zu der die Sonne aufgehen würde, ein wenig zu früh abgeschätzt und so war es noch relativ dunkel, als der Wecker losging. Es war auch noch ziemlich kühl und deswegen machte ich mich erst mal daran, Wasser für Kaffee heiß zu machen. Brrrr! Der war nach der Morgenwäsche mit dem eiskalten Wasser bitter nötig. Die Franzosen zu wecken war überflüssig. Sie tappten verschlafen auf die Terrasse, als es mit dem Sonnenaufgang so langsam ernst wurde. Zu viert gingen wir ein Stück hinauf zum Gipfel um den Aufgang des Feuerballs gebührend zu genießen. Nach ein paar Minuten war alles vorbei und wir gingen zurück auf die Terrasse, um zu frühstücken. Mit dem heißen Kaffee in der aufgehenden und langsam schön wärmenden Sonne auf der Terrassenmauer zu sitzen war wunderschön. Auf den Pico RuivoWährend wir noch unser Frühstück in der Sonne genossen, waren die Franzosen mit ihrer Morgenmahlzeit in der klammen Hütte fertig und gingen los. Sie würden heute denselben Weg zurücklegen wie wir, doch wir erwarteten nicht, sie noch mal wieder zu sehen. Mit unserem schweren Gepäck waren wir viel langsamer als die beiden, die wirklich nur Minimal-Ausrüstung dabei hatten. Nachdem wir alles zusammen gepackt hatten, schulterten wir unsere Riesenrucksäcke (der Hüttenwirt hob Ralles Rucksack einmal testend an und machte anerkennende Geräusche) und machten uns auf den Weg. Zunächst sollte es hoch zum Pico Ruivo gehen. Nach 20 Minuten erreichten wir den Gipfel, wo wir die beiden Franzosen ein letztes Mal sahen. Die Aussicht von da oben war grandios. Im Morgenlicht sah die ganze Insel so aus, als würde sie noch schlafen. Wir konnten sämtliche Wege, die wir bisher gelaufen waren nachvollziehen (faszinierend, was man zu Fuß an Strecke zurück legen kann) und nahmen uns viel Zeit (und viele Fotos) dazu. Gen WestenSchließlich rissen wir uns von der höchsten Stelle der Insel los und machten uns auf den Weg entlang der Wasserscheide nach Westen. Wir marschierten auf einem gut erkennbaren Weg einem Gratverlauf folgend (mal rechts, mal links davon) durch Heidewald, über Felsen, entlang breiter Rücken, durch Macchia und Blumenwiesen immer auf den Pico Casado zu. Der Weg und die Landschaft waren abwechslungsreich und natürlich machten wir viele Fotos, vor allem mit der großen SpiegelreflexKamera. Den kleinen Klick-Foto, den ich am Gürtel trug, verwendeten wir hauptsächlich für Schnappschüsse. Der Ralle hatte sich schon am Vortag immer wieder mal über die ungewöhnlichen Verschlusszeiten gewundert, die die große Kamera zuweilen an den Tag legte. Aus Erfahrung wussten wir aber, dass Foto und Auge ganz besonders extreme Lichtverhältnisse sehr unterschiedlich wahrnehmen. Die Kamera würde schon wissen, was sie tat. Dachten wir! Oh Nein!!!Als wir an der Boca das Torinhas den Fuß des Pico Casado endlich erreicht hatten und auf einem netten kleinen Steig (mit unendlich vielen Stufen) dem Gipfel entgegen stiegen, entdeckten wir in einer Nische ein Prachtexemplar von Madeiras National-Pflanze. Ein riesiger Busch Stolz Madeiras (ein Busch mit blauen Blüten) streckte Unmengen prachtvoller Blütendolden in den Himmel. Die große Kamera reagierte darauf mit einer Verschlusszeit, die den Ralle Luft anhalten ließ, um das Bild nicht zu verwackeln. Das konnte einfach nicht sein, schließlich hatten wir ISO 200 Filme gekauft und es war helllichter Tag, ein sonniger noch dazu. Ich beguckte mir den Foto genauer und stellte entsetzt fest, weshalb die Kamera so ungewöhnliche Verschlusszeiten geliefert hatte: Der Film, der derzeit in der Kamera war, wurde als ISO 50 erkannt. Ein Kontrollblick auf das Filmfenster bestätigte jedoch, dass wir einen ISO 200 Film in der Kamera hatten. Aber wieso? Unsere Kamera sollte den Filmtyp eigentlich automatisch erkennen. Die Entdeckung stürzte uns zunächst in tiefe Verzweiflung. Sollten alle Bilder, die wir bisher gemacht hatten, jetzt ruiniert sein? Wie ruiniert waren die Bilder wirklich? War überhaupt noch was zu retten? Und wie viele Filme betraf das Problem? Dass der erste Film noch richtig erkannt worden war, wussten wir. Da hatten wir mal zufällig nachgeschaut. Die letzten Bilder des aktuellen Filmes verschossen wir schnell in der Umgebung. Als wir den nächsten Film einlegten, war die Kamera-Welt wieder in Ordnung: er wurde als ISO 200 erkannt. Den definitiv überbelichteten Film verstauten wir gesondert. Vielleicht könnte man da bei der Entwicklung noch etwas retten, dachten wir. Etwas geknickt bestiegen wir den Pass zwischen Pico do Jorge und Pico Casado. Nicht vorzustellen, wenn alle Bilder der ereignisreichen letzten Tage kaputt wären! Auf dem Hochweg (wieder mit unendlichen vielen Stufen) dauert es jedoch nicht lange, bis die Insel, der Urlaub und unser natürlicher Optimismus (nun ja, meiner) die Stimmung wieder anhob. Wahrscheinlich würde man bei der Entwicklung doch noch was retten können und im allerschlimmsten Fall hätten wir ja noch die Bilder im Kopf - die kann uns niemand mehr nehmen. ... |