Trotz aller Müdigkeit war die Nacht nicht sehr gut. Ich musste mehrfach raus und hatte Durchfall. Das kam in Wellen und war sofort wieder gut, als ich auf der Toilette gewesen war.
Beim Frühstück hatte ich das allerdings das Gefühl, das überstanden zu haben und konnte sogar etwas essen. Sowohl Ralle als auch mir schmeckte der Trinkjoghurt mit Cerealien am besten. Sonst gab es (löslichen) Kaffee und Milchpulver, Tee, geschnittenes Obst, Semmeln, Butter, Marmelade, irgendwas Nutella-Ähnliches und noch Allerlei, an das ich mich erinnern kann. Der Tisch war jedenfalls voll, was ich für dieses abgelegene Hostal doch bemerkenswert fand.
Wir bekamen ein Lunch-Paket (in dem neben Saft und Obst vor allem Kekse und Schokolade war) fuhren pünktlich los. Es wurde gerade hell und wir konnten sehen, dass dies ein wunderschöner Tag werden würde. Der Wind schien auch nachgelassen zu haben. Wir fuhren zurück auf die Teerstraße Richtung Chile und bogen dann kurz vor der Grenze nach links ab.
Es gab mehrere parallele Jeep-Tracks in diese Richtung. Porfi kannte sich aus und nahm jeweils den, der am wenigsten wellig war. Es dauert nicht lang, dann bogen wir nach rechts auf die Vulkane zu ab. Wir fuhren ziemlich lang immer weiter hinauf und die Spur wurde stetig schlechter.
Nach einer Sandebene und zwei steilen Kehren, sahen wir immer mehr Büßereis am Rand des Jeep-Tracks. Nachdem wir dann - schon ziemlich weit oben - nach einer weiten Kehre zwischen Humarata und Acotango auf den Acotango zuhielten, war schließlich Schluss: das Büßereis bedeckte den Jeep-Track auf weit über 10 Metern Länge.
Wir stiegen alle aus, cremten uns alle ein (einschließlich Hugo) und gingen los.
Hugo hatte bei Weitem nicht so einen gleichmäßig langsamen Schritt wie Gary und ging für mein Gefühl zu schnell. Ich versuchte, Gary zu imitieren und meinen eigenen langsamen gleichmäßigen Schritt zu finden. Das schien anfangs ganz gut zu klappen, aber es ging mir nicht gut. Ich war von Anfang an kraftlos und bald hatte ich wieder Bauchweh-Wellen.
Ralle hatte keine Probleme Hugo zu folgen und so mussten die beiden Herren halt gelegentlich auf mich warten. Nachdem wir ein paar Geländewellen hinter uns gebracht hatten, hielt Hugo auf einen breiten Rücken zu. Ich war gerade angehalten und versuchte eine weitere Bauchweh-Welle wegzuatmen, aber das ging dann nicht mehr. Ich rief den Männern zu, dass ich jetzt mal müsse und trat 10 Meter zur Seite (was völlig egal war, es gab weder irgendwas zum Dahinterhocken, noch einen Weg, den ich hätte verlassen können) um wieder Durchfall zu haben.
Hier beschloss ich dann, umzudrehen. Ich war total schlapp und hatte Durchfall und Schüttelfrost, so machte das einfach keinen Sinn. Als ich erklärte, zum Jeep zurück zu gehen, war natürlich keiner begeistert. Ich konnte Ralle und Hugo aber überzeugen, dass ich immerhin fit genug zum Absteigen sei und dass sie ohne mich weiter gehen sollten. Hugo erklärte dann noch, dass ich noch auf den Rücken rauf müsse und zeigte mir dann von dort den Abstieg: erst mal geradeaus in den Krater unter uns und dann dem Bauchlauf nach unten bis zur Straße folgen. Da würde Porfi mit dem Jeep warten.
Dann ging ich nach unten und die Jungs gingen weiter. Ralle sah sehr besorgt aus, aber wir waren uns einig, dass das Gelände so einfach war, dass nichts passieren konnte. Und sie würden auf dem Rand des Kraters zum Acotango gehen, könnten mich also (theoretisch) die ganze Zeit im Kessel sehen.
Der Abstieg war steiler als er zunächst aussah, aber in Vulkan-Asche absteigen ist echt einfach. Ich musste ein paar Mal anhalten, um zu verschnaufen (ich war echt kaputt) und erreichte dann den Krater-Boden. Ich hatte schon immer geschaut, ob ich Ralle und Hugo von unterwegs sehen könnte, hatte aber keinen Erfolg gehabt. Im Kraterboden suchte ich mir einen großen Stein zum Sitzen aus, holte meinen Tee aus dem Rucksack und verfolgte den Kraterrand immer wieder auf und ab mit den Augen. Und dann sah ich die beiden! Sie waren schon viel weiter, als ich gedacht hatte.
Ich winkte und hüpfte herum und hoffte, dass sie mich in meiner leuchtend roten Jacke sehen würden. Irgendwann wurde es mir zu kalt und ich stieg weiter ab. Die Wegfindung war sehr einfach und es gab sogar Trittspuren. Bevor ich den Krater verließ, schaute ich nochmal scharf auf den Grat und entdeckte die Beiden nochmal. Ein schwarzer und ein orangener Punkt vor einer Eiswand, schon ziemlich weit oben am Gipfel.
Danach war es nicht mehr weit zum Jeep, aber ich ging sehr langsam und bedächtig. Da war was Neues im kaputten Knie, ein Zwicken hinten drin manchmal beim Beugen. Das musste eine Nachwirkung vom Coropuna-Fehltritt sein. Ich nutzte den restlichen Abstieg zum Jeep, um das Phänomen auszutesten.
Porfi hatte den Jeep in einer sonnigen Bucht neben dem Track geparkt und kam mir entgegen. Ich erklärte warum ich abgebrochen hatte (auf Englisch, Porfi fragte auf Spanisch, aber das klappte erstaunlich gut) und legte mich dann auf die Rückbank und schlief erst mal. Dann trank ich Tee und den Saft, an etwas zu Essen wagte ich mich nicht.
Ralle erzählt:
Hugo und ich gingen weiter über die schier endlosen Vulkanhänge bis wir den Grat erreichten. Der Wind war inzwischen sehr heftig und es war bitter kalt. Wir gingen die meiste Zeit über die hart gefrorene Vulkanasche direkt neben dem Eispanzer am Grat entlang. Übers Eis zu gehen war viel anstrengender vor allem wegen der vielen scharfen Zacken. Man kann den Fuß nie gerade aufsetzen, Büßereis eben.
Der letzte Teil des Anstiegs führte uns dann direkt über einen steilen mit Büßereis überzogenen Aufschwung. Hier erfasste uns der scharfe Wind, der inzwischen fast zu einem Sturm angewachsen war, mit voller Wucht. Es war sehr anstrengend im Sturm auf den Eiszacken zu balancieren und dabei das Gleichgewicht zu halten. Auf Steigeisen verzichteten wir trotzdem. Vermutlich wäre es mit Steigeisen noch anstrengender geworden.
Am Gipfel erwartete uns ein kleines Plateau das zum großen Teil eisfrei war. Hugo amüsierte sich an kleinen Eiszapfen die sich an meinem Oberlippenbart gebildet hatten. Zum Aufwärmen gab es heißen Tee aus der Thermoskanne. Wir gratulierten uns zum Gipfelerfolg: "Good job!"
Der Panoramablick war einfach überwältigend. Man hat von dort oben einen perfekten Blick auf Parinacota, Pomerape und Sajama. Nach einer kurzen Pause mit Fotosession machten wir uns an den Abstieg.
Zunächst ging es über den steilen Aufschwung zurück zum Grat. Diesmal gingen wir nicht am Grat entlang, sondern stiegen in direkter Linie über die oben extrem steile Flanke ab. Im oberen Teil, wo es am steilsten ist, war der Untergrund noch hart gefroren und man musste extrem aufpassen, damit man nicht abrutscht. Nach etwa 200m Abstieg wurde der Untergrund langsam weicher und man konnte die Absätze etwas in die Vulkanasche drücken. Noch weiter unten konnte man dann bequem über die Aschefelder absteigen. Dafür war es extrem staubig. Man musste großen Abstand zum Vordermann halten um nicht zu viel Staub einzuatmen.
Glücklich und zufrieden kamen wir unten an, wo Andrea und Porfi schon auf uns warteten.
Irgendwann warf Porfi den Jeep an und deutete nach vorn. Anscheinend sah er Ralle und Hugo absteigen, aber so sehr ich auch schaute, ich sah niemanden. Erst als die beiden ganz unten am Bachlauf zum Track liefen sah ich sie. Natürlich waren sie ganz oben gewesen, sogar - wie wir hinterher feststellten - in Rekordzeit. Hugo lobte Ralle als tollen Bergsteiger, ich denke das ja sowieso :-)
Dann fuhren wir denselben Weg zurück, den wir gekommen waren. Im unteren Teil rief Ralle plötzlich "Stopp!" und deutete nach draußen. Da liefen zwei Nandus direkt neben der Straße im Gestrüpp herum. Man braucht schon echt Adleraugen, um Nandus zu sehen. Sie waren selbst dann kaum zu erkennen, wenn man wusste wo sie waren.
Zurück im Hostal hatten wir frei. Ralle war müde und legte sich zunächst nochmal schlafen, ich setzte mich auf einem Stuhl in die Sonne vor der Hütte und besuchte gelegentlich die Toilette. Zur ausgemachten Zeit weckte ich Ralle und wir spazierten durchs Dorf, um am Kirchplatz ein Bier zu trinken. Als die Sonne verschwand wurde es schnell kühl und wir gingen zurück ins Zimmer.
Dort stellten wir dann fest, dass Ralles Bett kürzer war als meines und wir tauschten. Ich stapelte wieder alle Decken aufeinander, Ralle nahm aus seinem Stapel welche raus, danach waren wir beide mit den Betten so zufrieden wie nur möglich (Ralle bedauert noch immer sehr, seinen Schlafsack nicht mitgenommen zu haben).
Das Abendessen war ähnlich wie am Vortag und es schmeckte wirklich nicht schlecht. Trotzdem hatten wir Probleme damit. Ich schaffte nur die Suppe, dann war mir wieder schlecht. Ralle war das Hauptessen ohne Soße ganz einfach zu trocken. Hugo freute sich und nahm wieder alles was wir übrig ließen. Frühstück sollte um 8 sein, der nächste Tag war ja ein Ruhetag.
Wir legten uns wieder mit Daunenjacke ins Bett und hatten so schnell warm. Irgendwann in der Nacht war mir dann sogar zu warm und ich zog sie wieder aus.