Um Mitternacht holte uns Bennos fröhliches 'Guta Morga!' aus dem Tiefschlaf und wir tappten zum 'Frühstück' in den vorderen Raum rüber. Ein kurzer Blick aus dem Fenster zeigte klaren Sternenhimmel, beste Voraussetzungen für unseren letzten Gipfel. Wie am Vortag beschlossen, waren Helmut und Kristian schon eine halbe Stunde vorher aufgestanden und waren jetzt mit dem Frühstück schon beinahe fertig. Der Grund für dieses Arrangement war, dass wir möglichst alle gleichzeitig am Gipfel ankommen wollten.
Auch zum wiederholten Mal fiel das Mitternachtsfrühstück nicht wirklich leichter, aber irgendwie schafften wir es, irgendwas runter zu bekommen und standen pünktlich um eins vor der Hütte, bereit zum Abmarsch. Aus dem Tal schienen die beleuchteten gigantischen Rosenplantagen zu uns hinauf.
Der Anstieg zum Cayambe führt von der Hütte über einen felsigen Grat mit ein paar nicht allzu schwierigen Kletterstelle (etwa I) über eine Kuppe mit einem kleinen See und dann weiter auf den eher flachen Cayambe-Gletscher.
Das Wetter hatte sich in den anderthalb Stunden Grataufstieg signifikant verschlechtert. Vom Sternenhimmel war nichts mehr zu sehen, der Wind hatte zugenommen und es schneite leicht. Wir rüsteten auf (Steigeisen) und teilten uns in Seilschaften auf.
Diesmal nahm Bennno Ralle und mich ans Seil (leider weiss ich noch immer nicht warum, ich hab vergessen nachzufragen), während Gerhard und Peter mit Sergio starteten. Von Helmut und Kristian war ein Stück weiter oben lediglich ein Lichtlein zu sehen.
Wir stiegen den beiden nach. Der Aufstieg war vergleichsweise bequem, weil er nicht so steil war und mit der Zeit erleichterte auch der Neuschnee das Gehen, weil man die Kanten der Eisen nicht mehr so in den Firn hauen musste und stattdessen fast bequem in den Stapfen den Vorgängers gehen konnte. Der Schneefall und der immer mehr auffrischende Wind führte dafür bald dazu, dass wir uns wärmer und dichter kleiden mussten.
Nach weiteren anderhalb Stunden trafen wir auf Helmut und Kristian, die im Windschatten einer Eiswand (oder von Felsen, war im Dunklen schwer zu sagen) Pause machten und auf uns warteten. Nachdem auch wir etwas Tee getrunken hatten, gingen alle 3 Seilschaften gemeinsam weiter.
Inzwischen standen wir mitten in den Wolken im Schneefall und die Sicht (nachts ja eh nicht allzu gut) war auf wenige Meter beschränkt. Der Gletscher war nach wie vor ziemlich unstrukturiert und stieg nicht allzu steil an. Wie Benno unter diesen Umständen überhaupt den Weg finden konnte, war mir ein Rätsel. Mal hatte ich das Gefühl, durch eine sanfte Rinne zu steigen, mal fühlte es sich an, als liefen wir auf einem sanften Rücken, aber genau genommen war alles so gut wie gleich.
Gerade als es hell wurde, wurde der Gletscher steiler und es wurde noch windiger und kälter. wir stiegen zu einer riesigen Gletscherspalte auf, an deren unteren Rand es einen breiten Riss zu queren galt. Die Schneebrücke, über die wir mussten, sah nicht wirklich vertrauenserweckend aus, hielt uns aber alle problemlos aus.
Der folgende Hang war so steil, dass ich mir sogar Gedanken über Lawinen zu machen begann, denn inzwischen lagen bereits 20-30 Zentimeter Neuschnee. Immerhin waren es nur um die 40 Höhenmeter, die da zu bewältigen waren. Wir querten den Hang und kamen auf einen weiten flachen Sattel. Benno meinte, nun seien wir bald da.
Hier war es unglaublich schwer zu gehen, weil ich hinter dem leichten Benno allenaselang einbrach und der Schnee ja eh schon 30 Zentimeter hoch lag. Irgendwann war ich so weit, jeden einzelnen Schritt mit einem gequälten Stöhnen zu quittieren, was aber glücklicherweise niemand ausser mir hörte. Hier oben erwischte uns der Wind zudem mit voller Gewalt und blies eisigen Schnee auf die wenigen freien Stellen Haut die rausschauten. Auf der windzugewandeten Körperseite, schien der Wind bis auf die Unterwäsche zu blasen.
Es dauerte gefühlte Ewigkeiten bis wir die 300 Meter (vielleicht auch 500) der Ebene hinter uns gebracht hatten und an den den allerletzten Aufschwung kamen. Da waren dann noch etwa 15 Meter hoher und steiler Hang zu bewältigen, was durch den Neuschnee, in dem man bei jedem Schritt wieder zurück rutschte, ziemlich erschwert wurde. Dann noch 20 Meter und Benno erklärte, dass wir nun oben waren. Oben! Am Gipfel des Cayambe!
Rund um ums herum war eine weisse ebene Fläche und wir standen mitten in den dichten Wolken, die uns Weiss-in-Weiss umgaben. Den kleinen Aufschwung, über den wir gekommen waren, sah man schon gar nicht mehr, es schneite und stürmte, war eiskalt und die Sicht war genau genommen Null. Eigentlich wollten wir nur ganz schnell wieder weg.
Benno machte auch entsprechend Druck, wahrscheinlich machte er sich Sorgen über den Neuschnee. Ralle, Gerhard und Helmut machten noch jeder ein paar Bilder, dann stürmte Benno wieder los. Seltsamerweise nicht in die Richtung, aus der wir gekommen waren, sondern geradeaus weiter, während Sergio und Kristian umdrehten. Das klärte sich aber ganz schnell. Benno war in dem kurzen Gipfel-Aufenthalt so oft um uns herum gelaufen, dass er im White-Out die Orientierung verloren hatte.
Wir drehten um und folgten den anderen Seilschaften. Bald stieg Benno mit uns voraus um den Weg zu finden. Oben auf der weiten Ebene war das nicht einfach, aber wir trafen die Aufstiegsroute nach einigem Zickzack dann aber doch. Die grosse Spalte querten wir mit der gebotenen Vorsicht und stiegen dann ziemlich geradeaus ab.
Wie Benno wusste, wo wir uns befanden, ist mir unverständlich, zumal inzwischen auch die Aufstiegspur zugeweht war. Wie immer er es anstellte, er fand jedenfalls den richtigen Weg, denn als es etwa eine Stunde später aufzuklaren begann, konnten wir erst den grossen Felsen am Grat im Gletscher und später auch den Felsgrat des Aufstiegs sehen.
Als die Sonne so langsam durch die Wolken kam und wir immer weiter runter kamen, wurde der Schnee unglaublich schnell weich und nass und klebte sich überaus lästig an die Steigeisen (trotz Antistollplatten), so dass man gefühlte Tonnen Gewicht an den Schuhen nach unten schleppte und ständig die Eisen frei klopfen musste.
Und erstaunlicherweise zeigte der so harmlos scheinende Cayambe-Gletscher dann auch noch seine Zähne, denn der vorausgehende Benno trat nacheinander in 3 Spalten, die durch die Löcher betrachtet gar nicht so harmlos aussahen.
In wärmender Sonne und im ausgehenden Schneegestöber zogen wir uns auf dem Felsgrat um und machten uns in unterschiedlichem Tempo auf den letzten Rest des Abstiegs. Erst hier fiel mir auf, wie alle ich eigentich war. Oben im Schneesturm und im eiligen Abstieg war mir das gar nicht so richtig aufgefallen, jetzt hatte ich das Gefühl, vor dem 50 Höhenmetern Grataufschwung zum Hütten-Abstieg aufgeben zu müssen. War das schwer!
Danach sah man bereits die Hütte! Der Abstieg war dann durch den Neuschnee nochmal eine kleine Herausforderung, denn es war rutschig und schmierig. Aber schliesslich kamen wir alle an der Hütte an, wo es wunderbare heisse Suppe von Elizabeth und ein echtes kleines Bier zu Feier des letzten Gipfels, den wir alle gemeinsam geschafft hatten (was für ein prima Abschluss!), gab. Rundrum war gute Laune, an der auch er arme vereinsamte Hüttenwirt teil hatte. Der wurde dann noch dazu verdonnert, mit sämtlichen Kameras ein paar Gruppenbilder zu schiessen.
Alle in der Cayambe-Hütte:
Kristian, Sergio, Andrea, Peter, Benno, Rául
Gerhard, Ralle, Helmut, Elizabeth
Dann ging es an den Abstieg. Da wir inzwischen den meisten Proviant vernichtet hatten, war da aber nicht mehr allzuviel extra zu schleppen. Bis auf Ralle, dem es zu umständlich war, umzuladen, warfen wir die Rucksäcke auf der halben Strecke auf Ráuls Pickup und legten den Rest des Weges unbelastet zurück.
Rául kam vor uns bei Paco und seinem Bus an, so dass wir danach noch nicht mal irgendwas in Bus laden mussten, bevor wir uns auf unsere Sitze fallen liessen. Danach dauerte es nicht lang, bis ich umfiel und trotz der wackeligen Fahrt ('Dry river, no road!') einschlief. Ich kann mich nicht erinnern, schon mal so ausgelaugt gewesen zu sein.
Kurz hinter der Ortschaft Cayambe gab es in einer Fernfahrer-Kneipe noch etwas zu essen (kein Meerschweinchen, das wurde dort nicht mal angeboten), dann kutschierte uns Paco zurück nach Quito ins Hotel Mercure Alameda Real, in dem wir am Anfang schon gewesen waren. Es war noch früher Nachmittag, so blieb uns einige Zeit zur gründlichen Wäsche und Erholung, bevor uns Paco wieder abholen würde. Das Abendessen sollte es in ein einem ganz besonderen Restaurant geben, dorthin konnte man anscheinend nicht laufen. Schade, ich hatte ja insgeheim auf 'The Magic Bean' vom dritten Abend gehofft.
Wir kippten sämtliche Taschen und Rucksäcke aus und hängten zum Trocknen aus, was feucht war. Viel Zeit dafür war allerdings nicht. Den Rest stopften wir mehr oder weniger unsortiert zurück in die Taschen. Schlafen legten wir uns nicht, ich war sicher, dass ich dann nicht mehr aufwachen würde. Stattdessen liefen wir in der letzten Stunde vor Pacos Eintreffen noch herum, um Geld zu holen und T-Shirts zu kaufen.
Beides war mit beträchtlichen Schwierigkeiten verbunden. Die ganzen 'Artesan'-Läden in der Umgebung schlossen um 17:00h und wir waren erst um halb sechs losgegangen. Die Geldautomaten dagegen sprachen so unverständlich (obwohl englisch), dass es uns gemeinschaftlich (unterwegs hatten wir noch Gerhard und Peter getroffen) erst nach einer Weile gelang, die richtigen Optionen auszuwählen, so dass die Automaten auch Geld ausspuckten.
Paco kutschierte uns dann durch ein Gewirr von kleinen engen und steilen Strassen in Richtung Rucu Pichincha hinauf. Am Rand eines kleinen Parks, von dem aus man einen tollen Blick über Quito hatte, stiegen wir aus und gingen auf ein seltsames Gebäude am Rand des steilen Parks zu, das riesige Glaswände hatte und irgendwie nach Seilbahnstation aussah.
Was es genau genommen auch war, denn es gab wohl mal den Plan, die Oberstadt mit der Unterstadt über eine Seilbahn zu verbinden. Dem Investor ging aber dann das Geld aus und ein findiger Unternehmer baute das obere Gebäude in ein Restaurant mit wirklich grossartigem Ausblick auf die Stadt um. Direkt unter uns lag die historische Altstadt, immerhin Weltkulturerbe.
Das Essen konnte mit dem Ausblick nicht ganz mithalten, war aber durchaus OK. Der Blick auf die nächtliche Stadt hatte den Ausflug aber auf jeden Fall gelohnt! Zurück beim Hotel fielen wir dann bald ins Bett. Trotz des 'Busschlafs' zwischendrin war das ja doch ein langer Tag gewesen.
An unserem letzten Dreivierteltag in Ecuador sollte es noch eine Stadtführung durch Quito geben, bevor uns Paco und Benno am Flughafen ablieferten. Das Frühstück war recht gemütlich angesetzt, Paco sollte uns erst um neun abholen.