Nach dem späten Frühstück packten wir bei strahlendem Sonnenschein unseren Kram zusammen und stapften vors Hotel um auf Paco zu warten, der aus Quito angedüst kam. Ziemlich exakt zu dem Zeitpunkt, an dem wir vor das Hotel traten. Mit dem Wetter hatten wir am Vortag wirklich Glück gehabt. Hätte die Sonne geschienen wie jetzt, hätten wir uns beim Baden in 3500m unter der Äquatorsonne unsere winterweissen Alabasterkörper mit ziemlicher Sicherheit ganz furchtbar verbrannt, Sonnencreme hin oder her.
Paco bekam noch ein Frühstück vom Hotel eingepackt und dann ging es los, erst mal zurück über den Pass Richtung Quito und dann rechts weg in Richtung Cayambe. Ralle und Paco, Ex-LKW-Mechaniker und Ex-Trucker fachsimpelten vorn über die Vor- und Nachteile europäischer und amerikanischer Trucks, während der Ralle Foto um Foto der auf Hochglanz polierten chromstrotzenden Trucks amerikanischer Bauart (die mit der langen Schnauze) schoss. Immer im Weg: andere Trucks, ein Scheibenwischer, ein Laternenpfahl oder Ähnliches.
Plötzlich trat Paco auf die Bremse und schoss quer über die Strasse nach links auf den grossen Parkplatz einer Tankstelle, auf dem gerade drei Trucks auf Hochglanz poliert wurden. Bevor wir so recht realisiert hatten, was eigentlich los war, hatte Paco bereits mit den Truckern gesprochen und der Ralle wurde eingeladen, die Maschinen gründlich zu betrachten und zu untersuchen.
Fotos wurden natürlich auch geschossen, wobei der Ralle vermeldete, dass ihm fast ganz anders wurde, als seine Kamera beinahe in den riesigen schmiere-schwarzen Fingern des grössten Truckers verschwand. Alle Trucker schienen sich ehrlich zu freuen, dass sich jemand so für ihre Maschinen interessierte.
Weiter ging es Richtung Cayambe und auf den Äquator zu, den wir jetzt das erste Mal überschreiten (oder überfahren) würden. Wobei wir den ja bei der Anreise schon überflogen hatten, wie mir da erst einfiel. Für mich war dieser Urlaub ja das erste Mal überhaupt auf der Südhalbkugel (der beste Allgäuer von Allen war schon mal in Kenia) und jetzt sollte es das einzige Mal in diesem Urlaub zurück in den Norden gehen.
Benno erzählte, dass das alte Äquator-Denkmal (das meine Eltern noch besucht hatten) inzwischen zugunsten eines neuen, von einer privaten Organisation errichteten, Denkmals aufgegeben worden war. Man hatte nämlich festgestellt, dass sich die Forscher (ich glaube es waren Franzosen) bei der Berechnung des Äquators irgendwann Anfang des 18. Jahrhunderts um 200 Meter verrechnet hatten (nicht viel, finde ich, dafür dass das ja alles mit der Hand berechnet worden ist).
Das neue Denkmal steht nun GPS-gestützt berechnet (zum Zeitpunkt der Errichtung war das GPS-Signal noch verschlüsselt und lediglich auf 100m genau und es bedurfte einiges diplomatischen Geschicks um beim US-amerikanischen Militär eine entschlüsselte Position zu bekommen) ein paar hundert Meter neben dem alten Denkmal. Wenn wir Glück hätten würde die Sonne nochmal rauskommen und wir könnten sehen, wie die Sonne wirklich direkt über dem Äquator stünde. Es war bald Mittag.
Paco hielt auf einem grossen Parkplatz auf einem Hügel an und wir gingen auf einen zunächst unspektakulär aussehenden grossen Platz mit einer leuchtend orangenen Stele zu. Erst wenn man direkt auf dem Platz steht, sieht man, wie schön der mit Pflastersteinen und Markierungen angelegt ist. Der Äquator ist deutlich markiert (und natürlich gab es das Bild, wie wir alle mit einem Bein im Süden und mit einem im Norden stehen) und es gibt auch sonst alle möglichen Linien, die irgendwelche Besonderheiten Markieren. Nachzulesen alles bei der offiziellen Seite von Quitsato.
Ein junger Mann erklärte uns das alles anhand der Linien, mehrerer Tafeln und eines aufblasbaren Erdballs. Auch warum Quitsato wirklich der Mittelpunkt der Erde ist. Hier sei nämlich der höchste Punkt am Äquator und deswegen hätten die Indígenas vor der Ankunft der Europäer hier und in der Nähe verschiedene Kultstätten gehabt.
Er erkärte auch, dass nach Meinung der Quitsato-Organisation eigentlich das typische Weltbild mit Norden oben und Süden unten zwar historisch verständlich (ist ja von den Europäern so festgelegt worden), aber richtiger sei es, die Welt mit dem Äquator von oben nach unten darzustellen (warum genau hab ich vergessen). Was ein ziemlich seltsamer Anblick ist und sich meiner Meinung nach wohl nicht durchsetzen wird.
Zwischendrin tat uns dann sogar die Sonne den Gefallen, kurz zu scheinen und wir konnten sehen, dass die Stele tatsächlich fast keinen Schatten warf (das winzige Bisschen Schatten kam davon, dass wir nicht genau Mittag hatten). Fotografiert hat das aber leider keiner. Alles in Allem war es ganz nett in Quitsato und ziemlich interessant.
Zum Mittagessen fuhren wir in eine noble Pizzeria in der Ortschaft Cayambe und danach ging es weiter zum Berg Cayambe. Verglichen mit den anderen Vulkanen an denen wir waren, ist die Anfahrt zum Cayambe ganz schön lang.
Paco fuhr ein paar Kilometer zurück Richtung Quito und bog dann auf eine Piste ab, die zuächst steil und löchrig durch die letzten Ausläufer des Ortes führte und sich dann gemütlich durch verschiedene Haciendas im Hinterland schlängelte. Immer wieder passierten wir kleine Dörfer und schraubten und dabei höher und höher.
Nachdem wir einen Erdtunnel vor dem unteren Teil einer ehemals riesigen Hacienda durchfahren hattem, sahen wir vor uns eine Menge Kinder, die laut Benno eben aus der Schule kamen und nach Hause gingen. Teilweise mit einem Schulweg um die 3 Stunden einfache Strecke! Und da waren Kinder dabei, die aussahen, als gingen sie noch in den Kindergarten.
Paco konnte das wohl nicht mit ansehen und öffnete hinter den letzten Kindern die Tür und hupte. Umgehend war die Fahrerkabine gesteckt voll (später nachgezählt: 12 Kinder) und alle redeten gleichzeitig mit Paco. Uns warfen die Kids nur vorsichtige und neugierige Blicke zu.
Als sich dann der erste Blick auf den Cayambe auftat, kullerten erst mal die 12 Kinder aus dem Bus bevor wir rauskonnten und den Berg betrachten konnten. Paco setzte sich zwischen die Kinder und machte ein paar Witzchen, aus den ich raushörte, dass er früher auch so ein Kind mit einem endlosen Schulweg im Hinterland gewesen war.
Die Kinder setzten wir der Reihe nach an verschiedenen Stichstrassen oder Häusern ab. Der letzte kleine Indígeno schien dann sehr froh zu sein, als er auch endlich raus durfte. Nach dem nächsten Dorf sahen wir schon Ráuls roten Pickup vor uns, der auf den Bus wartete. Der Grund dafür war, dass die Strasse ab hier extrem schlecht war und wenn es zu nass gewesen wäre, hätte Paco mit dem Bus nicht weiter fahren können. Dann hätte uns Ràul weiter gefahren.
Aber es war trocken, also fuhr der Bus weiter. Auf einer Strasse, die ich eigentlich nicht mal dem geländegängigen Pickup zugetraut hätte. Paco navigierte den Bus in Schlangenlinien um die tiefsten Löcher herum und schimpfte in unregelmässigen Abständen: 'This is no road! This is a dry river!'
Es dauerte eine Weile, aber schliesslich hatten wir die Stelle erreicht, wo Paco und sein Bus endgültig nicht weiter kamen. Die Piste wurde markant steiler und wie ein paar Meter weiter eine enge Kehre auf.
Wir luden unser Gepäck in den Pickup und machten uns ohne Gepäck auf den Weg. Eine Stunde zur Hütte, meinte Benno, Ràul mit dem Pickup könne bis zur Hütte fahren. Bald überholte uns Ràul und wir spazierten allein weiter. Nach 2 Kehren kamen wir in ein weites Hochtal, wo wir ein Stück vor uns zwar den roten Pickup sehen konnten, nicht aber die Hütte oder den Cayambe.
Wir spazierten gemütlich weiter und fingen an, uns zu wundern. Der Pickup bewegte sich nicht von der Stelle. Beim Näherkommen konnten wir dann Ràuls Versuchen, mit der gerölligen Piste zurecht zu kommen beobachten. Es schien vergeblich. Immer, wenn er fast so weit war, dass er endlich Schwung hatte, rollte ein grosser Stein unter den Rädern weg und das Auto stand wieder.
Der Pickup sei kein Allrad, meinte Benno und Ràul meine schon seit einer Weile, dass irgendwas an dem Auto nicht mehr stimme, er brauche wohl ein Neues, dieses habe keine Kraft mehr. Naja, der allerfrischeste war Ràuls Wagen tatsächlich nicht mehr, das hatte ich ja auch schon feststellen können.
Ràul parkte das Auto und wir luden uns unser Gepäck und verteilten die Lebensmitteltüten unter uns, um sie zur Hütte zu tragen. So ganz ideal war das nicht. Die dünnen Tüten waren der Belastung, eine halbe Stunde lang herumgeschüttelt zu werden, nicht gewachsen und gaben eine nach der anderen auf, so dass wir fast alle mit den Armen voll kaputter Tüte und Lebensmittel an der Hütte ankamen.
Vom Hüttenwirt abgesehen waren wir die einzigen auf der Hütte. Der schien ganz froh, dass Leute da waren, war wohl langweilig die letzten Tage. Der Cayambe ist schon ziemlich abgelegen, da kommen anscheinend nicht allzuviele Leute vorbei, obwohl die Hütte wirklich schön ist. Die letzten Gäste waren vor ein paar Tagen hier oben gewesen, erzählte er, und die waren wetterbedingt nicht zum Gipfel gekommen.
Für uns schienen die Voraussetzungen ideal zu sein. Die Wolken verzogen sich mehr und mehr und uns waren wunderbare Blicke auf den Cayambe-Gipfel und den etwas weiter entfernten Antisana gegönnt. Nch der ersten Tasse Tee auf der Hütte ging die Sonne unter und bescherte uns eine knappe halbe Stunde allergenialster Stimmung, die in unendlich vielen Bilden mündete.
Allerbeste Voraussetzungen für unseren letzten Gipfel also!
Der Schlafraum in der Hütte war für Europäer (und wahrscheinlich auch für Südamerikaner) völlig unbenutzbar, da das Holz frisch behandelt worden war. In Ecuador wird zur Holzbehandlung ganz einfach Diesel verwendet, weil der so günstig ist. In der ganzen Hütte roch es ziemlich intensiv nach Diesel, aber im Schlafraum war es unerträglich.
War ja sonst niemand da, also schoben wir die Tische im Aufenthaltsraum beiseite und trugen Matratzen nach unten, um dort zu schlafen. Somit war nicht die Cayambe-Hütte die Schönste und neueste von Allen sondern auch die Nacht dort die Wärmste und Schönste und Bequemste :-)
Lagebesprechung für den nächsten Tag. Aufstehen um Mitternacht, Start zum Cayambe um ein Uhr.