Geschreibsel

 

2 Tage im Eis, Teil 1

Linker Fernerkogel

Donnerstag, 25. 09. 1997

Wir stehen um 5.30h auf, frühstücken in Rekordzeit und machen uns dann auf den Weg ins Ötztal. Es ist ziemlich neblig hier unten, aber man kann schon (fast) sehen, daß das Wetter schön werden wird.

Um 10.00h erreichen wir Sölden und Ralles Sunny keucht die 1500 Höhenmeter zum Rettenbachfernerparkplatz hoch. Wir haben Glück mit der Braunschweiger Hütte, denn turnusmäßig wäre sie eigentlich schon geschlossen, aber wegen des schönen Wetters hat sie doch noch offen.

So gegen halb elf sind wir am Parkplatz, wuchten unter den verstohlen bewundernden Blicken einiger Autotouristen unsere schweren Rucksäcke aus dem Auto und beschuhen uns. Dann geht's los, dem Pitztaler Jöchl entgegen.

Aah, dieser Ausblick!. Vom Jöchl bietet sich ein grandioser Blick auf die Wildspitze, den Mittelbergferner und die umgebenden Berge. Links von uns können wir den Linken Fernerkogel bewundern. Den wollen wir heute noch bezwingen. Direkt vor uns liegt die Braunschweiger Hütte auf ihrem exponierten Felssockel.

An der Hütte machen wir erst mal Brotzeit und studieren anhand der Karte unsere geplante Route auf den Linken Fernerkogel. Ralle begutachtet den Berg durch sein Fernglas und versucht, mögliche Spalten auf unserem Weg durch/über den Hängenden Ferner zu entdecken. Danach gehen wir erst mal auf den Gletscherausläufer des Hängenden Ferners runter.

Wir steigen über den Steinverhau am Gletscherrand und packen dann unser ganzes wunderbares neues Zeug aus. Ralle mißt ganz nach dem Buch die Abstände für die Knoten aus, während ich den Pickel und die Steigeisen auspacke.

Eine halbe Stunde später sind wir gestiefelt und gespornt und fertig zum Losgehen. Bleibt noch die Frage, wer führt. Eigentlich ist es egal, also gehe ich halt mal vor. Ich merke gleich, daß das Seil ziemlich schwer ist. Die 15 Meter Seil mit den Knoten gespannt zu halten, ist ein Ding der Unmöglichkeit, also lassen wir das Seil über den Gletscher schleifen. Die Knoten haken natürlich immer wieder an irgendwelchen Eiszacken ein.

Erst mal ist das gar nicht so schlimm, aber als es den ersten Steilaufschwung hochgeht, wirkt das Seil, als hätte man mir 5 Extrakilo aufgeladen.

Der Eishang ist sehr glatt. Ich suche mir in schönem Zickzack einen Weg nach oben, der möglichst oft natürliche Absätze im Eis ausnützt. Leider sind diese Absätze so winzig, daß sie keine große Hilfe sind. Kurzzeitig versuche ich, auf den Frontzacken direkt hochzusteigen, aber das gebe ich gleich wieder auf, dafür sind die Schuhe zu weich.

Nach dem Steilaufschwung zwischen den beiden Spaltengebieten durch bin ich ziemlich erschöpft. Wir tauschen die Führung. Erst als Ralle vorne weg geht, wird mir so richtig bewußt, welche Last das Seil bedeutet (vor allem, weil wir ja sowieso schon jeder 15 Kilo im Rucksack haben). Ich laufe gleich viel leichter.

Allerdings nicht allzu lang. Bei etwa 3000 Metern werde ich kaputter und kaputter. Es kommt soweit, daß ich jeden Schritt nur mit einer enormen Willensanstrengung machen kann. Ich komme mir vor, als befände ich mich auf 7000 Metern. Nach einer kleinen Pause, in der wir etwas trinken und nachdem ich den Pickel gegen die Stöcke getauscht habe, geht es wieder ein bißchen besser.

Ralle läuft vorbildlich im Schneckentempo vor mir her und versucht mich aufzumuntern: "Schau, da oben nach der Kuppe, da kommt das Gipfelkreuz! Bis dahin schaffst Du das leicht!" Ich bin mir da nicht so sicher. Obwohl wir immer höher steigen, bleibt mein Höhenmesser beharrlich bei 3050m stehen. Das ist nicht grade ermutigend!

Aber Ralle hat recht. Nach einem vorsichtigen Schritt über eine Schneebrücke über einer Spalte stapfen wir eine kleine Wächte empor und sehen etwa 50 Meter über uns das Gipfelkreuz! Mit nahezu letzter Kraft schleppe ich mich auf den 3272 Meter hohen Berg. Der Höchste, den wir jemals bestiegen haben.

Oben genießen wir den grandiosen Ausblick. Ich schau' mir die Wildspitze an, die da so riesig vor mir steht und frage mich, ob ich da wohl morgen hoch komme. Der Linke Fernerkogel hier ist jedenfalls einer der schwersten Berge, die ich bisher bestiegen habe. Ralle beruhigt mich. "Seh'n wir morgen ja. Wir gehen soweit, wie's geht."

Gegen 16.30h machen wir uns an den Abstieg. Für den Steilabschnitt wechsle ich wieder zum Pickel über, damit ich im Fall des Falles bremsen kann. Das Absteigen geht viel besser, als ich dachte. Die Steigeisen halten bombenfest und wenn man nach der Drei-Punkt-Methode vorgeht, hat man eigentlich nie ein Problem. So kommen wir problemlos am Gletscherauslauf an.

Unser ganzes Gerödel wieder abzubauen und zu verstauen, dauert wieder eine gute halbe Stunde. Leider ist das Seil naß geworden, weil auf dem Gletscher soviel Wasser rumlief. Die 100 Meter Aufstieg bis zur Hütte sind unglaublich schwer, aber das hat wohl eher mit dem Hunger und dem Durst zusammen, den wir haben.

Vor der Hütte legen wir unter den bewundernden Blicken der drei anderen Gäste unseren nassen Kruscht auf einem Tisch aus und gönnen uns dann endlich etwas zum Trinken. Mmmh, Radler!

Mit den anderen drei Hüttengästen, die alle den E5 gehen, entwickelt sich dann ein nettes und unterhaltsames Gespräch, so daß für den Rest des Abends keine Langeweile aufkommen kann.

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